Brasilianische Wurzeln
Geboren
und aufgewachsen bin ich in Sao Paulo. Mein Vater war Priester der
dortigen Kirchengemeinde und hier bin ich zuerst mit Musik in Berührung
gekommen. Ich war sechs Jahre alt, als ich im Posaunenchor auf dem
Tenorhorn anfing. Ausprobiert habe ich noch andere Instrumente bis ich
mich ernsthaft, mit neun Jahren, für das Cello entschied. Mit 14
wechselte ich zum Kontrabass und nahm klassischen Unterricht, denn mein
Ziel war das Symphonieorchester von São Paulo. Daneben spielte ich noch
populäre Musik in den vielen Clubs. Zu dieser Zeit gab es in São Paulo
zwei Straßen mit ungefähr 20 bis 30 Lokalen. Alle Großen der
Brasilianischen Musik arbeiteten dort, und ich lernte einige
fantastische Musiker kennen, Leute wie Hermeto Paschoal, Nene, einen der
großen Schlagzeuger Brasiliens, Airto Moreira und viele andere. Am
Nachmittag bin immer mit Nene zu Hermeto’s Haus gegangen um bei den
Proben dabei zu sein – es war unglaublich, die Musik war so stark. Diese
Erfahrungen habe ich mein ganzes Leben mit mir getragen – sie sind
meine Brasilianischen Wurzeln.
Der Wechsel nach Europa
Um
meine klassischen Studien zu vertiefen, kam ich 1973 nach Deutschland.
Nachdem ich 1976 nach München zog wurde mir klar, dass ich kein
klassischer Musiker werden wollte – einer von vielen Bassisten, der Tag
ein Tag aus in einem Orchester immer dasselbe spielt. Aber ich hatte
keine Ahnung, in welche musikalische Richtung ich gehen soll- te. Ich
hing ziemlich in der Luft, bis ich eines Tages zufällig an dem
legendären Jazzclub „Domicile“ vorbeikam und diese faszinierende Musik
kam aus dem Lokal. Also ging ich hinein und hörte Art Blakey mit seiner
unglaublichen Band. Von diesem Moment an wusste ich, dass dies die Musik
war, die ich spielen wollte. Damals sind alle großen Bands in München
aufgetreten: Chet Baker, Leo Wright, Art Farmer, Archie Shepp, Junior
Cook, Thad Jones – Mel Lewis Big Band, George Coleman, Hilton Ruiz,
Clifford Jordan, Benny Bailey, Larry Porter, Horace Parlan, Fritz Pauer,
Isla Eckinger (mein Idol), so viele andere, und alle sind sie eine
ganze Woche, oder manchmal auch länger im Domicile aufgetreten. Das
Münchner Jazzleben war zu dieser Zeit sehr lebendig und intensiv. Ich
fing an, in der Stadt zu arbeiten und konnte fast jeden Tag in
irgendeinem Club oder auf irgendeiner Jam Session spielen.
Prägende musikalische Erfahrungen
Zu
dieser Zeit traf ich den Altsaxophonisten Alan Praskin. Er kam jeden
Tag zu mir nach Hause und brachte immer vier oder fünf neue Stücke mit.
Ich musste mindestens eines davon pro Tag auswendig lernen, und in
relativ kurzer Zeit hatte ich ein ziemlich großen Repertoire. So konnte
ich dann in Dixieland Bands, Swing Bands oder Bebop Bands spielen, denn
ich kannte die Stücke ja schon. Ich habe oft bei der Allotria Jazz Band
ausgeholfen und konnte dadurch mit Musikern wie Trummy Young, Billy
Butterfield und Earl Warren arbeiten.
Die Zeit mit Art Farmer
1985
begann ich mit Art Farmer zu spielen und blieb die nächsten 13 Jahre,
bis zu seinem Tod, der Bassist in sei- nem europäischen Quintett. Die
Zusammenarbeit mit Art hat mein Verständnis für Musik sehr stark
erweitert. Auch lernte ich durch ihn, was Professionalität wirklich
bedeutet: die Stücke richtig drauf haben, Pünktlichkeit, immer gut
angezogen auf die Bühne zu gehen, etc. In dieser Band traf ich den
Schlagzeuger Mario Gonzi. Er war erst 17. In den vielen Jahren der
Zusammenarbeit entwickelten wir beide eine Empathie die schon einmalig
ist. Zu dieser Zeit arbeite- te ich auch mit vielen anderen großartigen
Musikern. Besonders gerne erinnere ich mich an einen weiteren herausra-
genden Trompeter, Benny Bailey. Und dann waren noch die ganzen
Brasilianer, die hierher kamen, wie Sebastiao Tapajós, Mauricio Einhorn,
Claudion Roditi und andere.
Kontrabass und Stimmen
Für
mich von großer Bedeutung wurde die Arbeit mit vielen Sängern und
Sängerinnen, denn sie singen die Songs fast nie in der Originaltonart
und ich musste aus dem Stand transponieren. Außerdem musste ich mich mit
den Texten der Songs beschäftigen; wenn ich den Text kenne bekomme ich
ein tieferes Verständnis für ein Lied und das hat dann
einen
starken Einfluss auf meine Interpretation. Ich hatte großes Glück, dass
ich über die Jahre mit Leon Thomas, Jay Clayton, Ursula Dudziak, Sabina
Sciubba, Kitty Margolis, Etta Cameron arbeiten konnte – sie waren alle
großartig. Sie alle waren „Storytellers“, die sogar aus dem zickigsten
Song eine tiefe Erfahrung machen konnten. Kitty war die Königin der
„Storyteller“, aber sie konnte auch scatten wie ein Instrumentalsolist.
„Vocebasso“, ein Duo, das Sabina und ich für ungefähr zwei Jahre hatten
war für mich eine der schönsten musikalischen Erfahrungen, die ich je
hatte. Sie verfügt über eine sehr ausgefeilte Gesangstechnik, mit der
sie alle möglichen Klänge und Geräusche erzeugen kann und, gepaart mit
dem entsprechenden Talent, ist auch sie eine wunderbare
„Storystellerin“.
Unvergessliche Tourneen und Konzert mit fantastischen Kollegen
Ende
der 80-er Jahre traf ich auf Larry Porter, und zusammen mit ihm, Alan
Praskin und Billy Elgart hatten wir ein Quartett. Eine großartige Band
mit sehr ungewöhnlichem Repertoire. Damals lernte ich auch Sal Nistico
kennen. Für mein Verständnis war er ein sehr unterbewerteter Musiker.
Mann, er konnte diese Tunes mit unheimlicher Präzision und Tiefe
hinlegen. Ich traf Sal durch Karl Ratzer, ein wirkliches Gitarren-Genie.
Er hat einen ganz eigenen Sinn für Ästhe- tik. Über die Jahre habe ich
viel mit Karl gearbeitet. Eine seiner Gruppen war ein Quintett mit dem
Pianisten Fritz Pauer (den ich schon von Art Farmer her kannte), Sal und
Idris Muhammad, einem der besten Schlagzeuger der Welt. Als Idris die
Band verließ kam für kurze Zeit Joe Chambers! Mit solchen Schlagzeugern
zu spielen ist für einen Bassisten das Paradies. Während eines
Konzertes, wir spielten mit Joe, und es ging richtig ab, schaute ich
rüber zu ihm, und er spielte nur auf dem Ride-Becken – keine andere
Hand, kein anderer Fuß, er hat nur auf dem Ride-Becken gespielt – und es
klang wie ein ganzer Drumset. Unvergesslich!
Anfang
der neunziger Jahre begann ich mit Archie Shepp zu arbeiten. Mit Archie
ging ich auf die Bühne und wusste nie was als nächstes passiert. Wird
er einen Standard spielen? Oder free? Keiner wusste was kommt aber es
war immer aufregend. But, you better be ready ...
Damals
arbeitete ich auch mit dem Saxophonisten Jim Pepper, meistens im Trio
mit Allan Jones am Schlagzeug. Pepper war amerikanischer Indianer, und
irgendwie klang er auch so, mit seinem wunderschönen großen Ton, so
einzigartig! In dieser Periode spielte ich viel mit Mal Waldron. Er
hatte einen ganz eigenen Stil, die Art wie er seine Phrasen wiederholte
(Power of Repetition) und sein spezieller Sound. Wenn er spielte dachte
er mehr an Farben. Rhythmische Farben! Und sein Spiel war so glasklar.
Er spielte diese superlangsamen Balladen und die Spannung ließ nie nach!
Mit allen habe ich natürlich viel getourt, durch Mitteleuropa, nach
Japan, Kanada, Brasilien, Skandinavien und New York.
Unterrichtstätigkeit
Zur
Zeit bin ich Lehrer am Jazzinstitut der MHS in München. Meine Studenten
sind alle auf einem hohen technischen Niveau. Das müssen sie auch, denn
ich arbeite mit ihnen lieber an Interpretation und musikalischem
Verständnis. Das bedeutet für mich, die musikalische Tradition weiter zu
geben.
Künstlerische Projekte
„ACERVO“ (2006-2008)
Dieser Begriff bedeutet „DER INHALT EINER BIBLIOTHEK“, und gemeint ist hier natürlich das brasilianische Songbook. Mit dieser Band konzentrierte ich mich auf die Musik Nordostbrasiliens, die mehr „afrikanisch“ ist als die Musik im Süden, da die Sklaven von Afrika zuerst dorthin gebracht und später übers ganze Land verkauft wurden. Aber der Großteil der schwarzen Bevölkerung lebt immer noch im Nordosten. Dementsprechend enthält diese Musik mehr afrikanische Elemente und Rhythmen wie AFOXÈ, MARACATÙ, XAXÁDO, FORRÓ, BAIAO, FREVO, usw.
2013
Zur Zeit arbeite ich an meiner neuen CD mit neuen Eigenkompositionen, die im März in São Paulo gemeinsam mit großartigen brasilianischen Kollegen (Djalma Lima, Junior Galante, Lelo Izar, Paulo Malheiros und Wanja Slavin) aufgenommen wurde. Geplant ist, diese im Dezember 2013 zu veröffentlichen.
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